Gelegentlich sagt jemand zu Theis, er sei ja ein halber Däne oder ein halber Deutscher. Dann widerspricht er. Ein ganzer Däne und auch ein ganzer Deutscher ist er, weil er sich in beiden Kulturen hundertprozentig wohl fühlt.
Schon die allerersten Tage seines Lebens fanden teils in Dänemark, teils in Deutschland statt. Seine Eltern waren nach dem Studium in Dänemark nach Husum gezogen, um dort zu arbeiten. Kurz vor seiner Geburt fuhren sie über die Grenze nach Sonderborg ins Krankenhaus. Er sollte in Dänemark zur Welt kommen, weil seine Mutter sich in der deutschen Sprache noch nicht ganz sicher fühlte. Als Säugling ging’s zurück nach Husum, und seitdem ist er in beiden Ländern zuhause.
Seine beiden Geschwister und er besuchten die dänische Schule in Husum und wuchsen ganz selbstverständlich zweisprachig auf. Nach der neunten Klasse ging er zwei Jahre lang auf ein deutsches Internat. In dieser Zeit begann er, auf Deutsch zu träumen und auf Deutsch zu schimpfen, wenn ihn etwas ärgerte. Dann zog er ins dänische Apenrade und machte dort ein international anerkanntes Abitur. Auf Reisen merkte er, wie gern er mit Kindern arbeitet. Er kehrte nach Kiel zurück, studierte und fand seine erste Stelle als Lehrer an der dänischen Schule in Dänischenhagen, die er heute leitet.
Nach Unterschieden zwischen den beiden Kulturen befragt, fallen Theis die viel flacheren Hierarchien in Dänemark ein. An seiner Schule sind alle Kolleginnen und Kollegen per Du, alle empfinden sich als gleich wichtig für das große Ganze, und der Hausmeister und er ziehen einander ständig mit Scherzen auf. An einer deutschen Schule ginge es sicher förmlicher zu.
Auch die Nähe zu den Eltern ist an der dänischen Schule größer. Sie werden zu Festen oder zum Grillen eingeladen und sind immer auf einen Kaffee willkommen. Nur wenn man sich kennenlernt, können Freundschaften entstehen, meint Theis, und wenn die Erwachsenen einander vertrauen, lassen sich die Probleme der Kinder viel leichter lösen. Sie erleben ihre Schule dann als Teil einer Gemeinschaft und diese Geborgenheit hilft beim Lernen.
Die Schule wird von Kindern der dänischen Minderheit besucht, doch auch Kinder aus deutschsprachigen Familien sind willkommen, wenn sie zuvor im dänischen Kindergarten waren und ihre Eltern bereit sind, Dänisch zu lernen. Dabei kommt es nicht auf Perfektion an. Das Dänische ist im weltweiten Vergleich eine der Sprachen mit dem höchsten Grad an Willkürlichkeit zwischen Aussprache und Schrift. Das heißt, dass man als Ausländerin oder Ausländer fast nie weiß, wie ein Wort gesprochen wird, wenn man es liest, oder wie es geschrieben wird, wenn man es hört. Niemals würden Theis und seine Kolleginnen und Kollegen lachen, wenn sich die Sprechversuche von Eltern etwas ungewöhnlich anhören. Sie sind froh über jedes dänische Wort, das die Eltern ausprobieren.
Theis sieht große Unterschiede zur Arbeit seiner Frau an einer Kieler Stadtteilschule mit Kindern aus der ganzen Welt. Hier wechseln die Kinder ständig aus der Schulkultur in eine völlig andere Familienkultur und wieder zurück. Neben all den schweren Erlebnissen, die sie mitbringen, ist das eine große Aufgabe, findet Theis.
Sein eigenes Leben in zwei Kulturen ist da viel unbeschwerter. Im Lauf seines Lebens hat es ihm sogar immer mehr Spaß gemacht, die Dinge aus wechselnden Perspektiven zu betrachten, mal als ganzer Däne und mal als ganzer Deutscher.
Ein Interview mit Theis ist auf www.kunstschlepper.de zu hören.
Kunstschlepper e. V.
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24242 Felde
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